Die Bäckerei Steubermann hat in diesem Jahr Jubiläum. Vor genau 125 Jahren hat einer der Vorfahren des heutigen Bäcker- und Konditormeisters Steubermann mit dem Backen angefangen und dieses Ereignis wird schon seit Januar gefeiert.
In etwas übertriebener Aufmachung wirbt die Bäckerei Steubermann mit diesem Jubiläum in der Zeitung und auf diversen Handzettelchen, die im Briefkasten landen.
Normalerweise gehört diese Bäckerei nicht zu Antonias bevorzugten Jagdgebieten, sie ist am anderen Ende der Hauptstraße und das ist Antonia einfach viel zu weit. "Ich lauf' doch keine 200 Meter, der Bäcker da vorne hat sowieso viel leckerere Sachen."
Das änderte sich letzte Woche Mittwoch. Da hatte die Bäckerei Steubermann in einer Zeitungsanzeige angekündigt, daß es anlässlich des Jubelfestes zum Monat Mai eine neue Kreation gebe, nämlich das Konkordiatörtchen.
Das Konkordiatörtchen sei exakt jenem Törtchen nachempfunden, daß der Urahn 1897 zu Ehren Kaiser Wilhelms zusammengezuckert und zu Fuß nach Potsdam getragen hatte.
Ob das dreistöckige Zuckerwerk damals die beschwerliche Reise unbeschadet überstanden hat und ob an dem Gerücht etwas dran ist, der wackere Zuckerbäcker sei nur bis in 16 Kilometer entfernte Schwipperthal gekommen und habe dort nach einer durchgezechten Nacht des Kaisers Konkordiatörtchen in betrunkenem Zustand erst selbst vertilgt und dann aus dem Wirtshausfenster in die nahe vorbeifließende Schwipper erbrochen, das interessiert heute keinen mehr.
Jedenfalls ist das Schaufenster mit einer lebensgroßen Pappattrappe des letzten deutschen Kaisers geschmückt und auf einer treppenartigen Stellage winden sich zwanzig bis dreißig Konkordiatörtchen zum Mund des Kaisers hoch, während ein Batteriemotor den Unterkiefer des armen Monarchen ständig auf und zuklappen lässt.
Es ist nun weniger die Beinahe-Anwesenheit des kaiserlichen Hohenzollern, sondern ganz eindeutig der Überzug aus schokoladebeschichtetem Marzipan, der Antonia zu diesem Schaufenster gelockt und sie spontan zum Kauf von 36 Konkordiatörtchen verführt hat.
Nun ist Antonia ja davon überzeugt, diese Köstlichkeiten seien so gut wie ewig haltbar. Schließlich könne man die Törtchen seit Tagen im Schaufenster des Zuckerbäckers bewundern. Daß die Törtchen dort aus Gips sind, hat Antonia nicht registriert.
Wir jedoch registrierten schon am Tag nach dem Spontankauf einen säuerlichen Geruch in unserer kleinen Kaffeeküche, der eindeutig von der gegorenen Sahne-Aprikosen-Mischung im Inneren der Konkordiatörtchen herrührte.
"Dann muß man die eben ganz schnell essen", sprach Antonia und schon hatte sie Sandy eins von den bierdeckelgroßen und etwa 15 Zentimeter hohen Dreistöckern in den Mund geschoben.
Man muß wirklich sagen, daß Sandy einen sehr sinnlichen und auch recht großen Mund hat, jedoch ist er wiederum nicht so groß, als daß er ein ganzes Konkordiatörtchen fassen könnte.
Sandy stürmt an meinem Büro vorbei, die ganze untere Gesichtshälfte ist mit Buttercreme. Sahne-Aprikose und Gries-Mandel-Pudding verschmiert; eben mit allem, was in einem solchen kaiserlichen Betthupferl so enthalten ist.
"Die spinnt voll, die fette Kuh, die hat mir eine von ihren Kalorienschleimbeuteln voll ins Gesicht gedonnert! Chef, die muß'te entmündigen lassen, schick' die in'ne Klappse, die gehört weggesperrt", zeterte Sandy und noch bevor ich etwas sagen oder gar unternehmen konnte, hatte sich Frau Büser eingeschaltet. Sie stürmte ob dieses gemeinen Kuchenangriffs auf Sandy nun mit großen Schritten in die Kaffeeküche, um Antonia zur Rede zu stellen.
Allerdings konnte Antonia zu den Vorwürfen gar nicht Stellung nehmen, da sie sich die untere Hälfte ihres Kopfes mit zwei Konkordiatörtchen vollgestopft hatte.
Nur mit viel Phantasie konnte man aus dem verstopften Gebrabbel entnehmen: "Die sind gut, aber die müssen heut' weg."
Und schon...
...vermutlich liegt es an den etwas kurzen Büserschen Beinen, die eine spontane Flucht nicht schnell genug einsetzen ließen, hatte Frau Büser ebenfalls im wahrsten Sinne des Wortes die Schnauze voll...
Nix wie weg, denn noch während Frau Büser, den Cremehaufen in einen spontan ergriffenen Papierkorb spuckend in Richtung Toilette stürmte und dabei versuchte zu artikulieren: "Nachher erschieß ich Dich!", kam Antonia mit dem Papptablett voller Konkordiatörtchen auf mich zu:
"Chef, do sond sooooo lockor!"
Nix da! So schnell wie ich konnte, war ich in meinem Büro verschwunden und schwang mich, sofern man diese ungelenken Bewegungen eines armen, alten, kranken Mannes so nennen kann, hinter meinen Schreibtisch, um vorbeugend Distanz zwischen den nahenden Kalorienhobbit und mich zu bringen. Mit einem Brieföffner bewaffnet zielte ich auf Antonia.
"Wenn Du nur einen Schritt näher kommst, steche ich zu!"
"Wos ost donn los mot Oich? Mönsch, dö Dönger sond soooooooo löcker!"
"Nix da, hau ab!"
"Nur oins, kommen So schon!"
"Noch einen Schritt und ich schlitze Dich auf! Wehe Du kommst mir mit dem Marzipanscheiß auch nur nahe. Ich mache Ernst! Ich schlitze Dich, dann äschere ich Dich ein und rauch Deine Asche in der Haschpfeife! Hau ab!"
Genau in dem Moment kommt meine Frau ins Büro.
"Was ist hier denn los? Warum stehst Du bewaffnet auf dem Schreibtisch?"
"Die will mich füttern!"
"Wer? Antonia?"
"Ja, mit diesen, diesen unaussprechlichen fettigen Cremebomben da."
Und schon hatte die Frau, die mit mir das Bett und das Leben teilt und meine engste Vertraute war, bislang in meinem Testament vorkam und die in guten wie in schlechten Zeiten zu mir stehen müsste, ein Konkordiatörtchen ergriffen, etwas davon abgebissen und gesagt: "Mensch, die sind wirklich lecker". Dann war sie mit dem Rest des Törtchens, aus dem Aprikosenmarzipan tropfte, auf mich zu gekommen und ich war vom Schreibtisch auf die Fensterbank geflüchtet.
Als diese mit ungarisch-balkanesichen Wurzeln behaftete Zigeunerbraut, die mir ewige Treue geschworen hatte, mit den Worten: "Jetzt beiß doch auch mal ab!" auf mich zu kam, trat die einzig mir verbliebene Verbündete, die Fensterbank unter mir, in das Geschehen ein und zerbrach unter meinem Gewicht.
Frau Büser erzählte mir später, ich sei nur ganz kurz ohnmächtig gewesen, was vor allem daher rühre, daß ich mit dem Hinterkopf kurz und knackig auf den Heizkörper geknallt sei. Aber wenigstens habe sich meine Frau gleich besonnen und erste Hilfe geleistet.
Antonia ist in ihrem Büro, Sandy hat sie dort eingesperrt und den Schlüssel durchs offene Fenster auf den Hof geworfen. Meine Frau hat meinen Hinterkopf mit einem feuchten Tuch gekühlt und alle waren sehr, sehr betroffen.
Mir geht es schon wieder besser, etwas Kopfweh habe ich noch und dieser komische Geschmack in meinem Mund nach geronnener Sahne, der will auch auch nicht weggehen.