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Channel: Bestatterweblog Peter Wilhelm
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Kalte Kacheln

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In der Geschichte "Leise Töne" ist Leser Torsten auf folgende Stelle gestoßen:

"Die Witwe steht ergriffen neben dem Sarg, bei uns gibt es keine Barrieren, keine Glasscheiben oder Absperrungen, die Angehörigen können so nah an den Verstorbenen heran, wie sie es möchten."

Er meint dazu:

Ich hatte zwar bisher nur mit Aufbahrungen bei zwei Bestattern zu tun, aber irgendwelche Absperrungen gab es da nicht. Denen hätte ich dann aber auch etwas anderes erzählt, ich kann nicht glauben, das es sowas gibt!
(Mag daran liegen, das ich jeweils nicht irgendein Trauergast sondern schon sehr direkte Verwandschaft war)

Doch, doch, das gibt es.
Beim Bestatter wird man so etwas weniger finden und ich wollte auch nicht herausstellen, daß man bei uns nah an die Verstorbenen heran kann und bei anderen Bestattern nicht, sondern ich wollte darstellen, daß man beim Bestatter in der Regel an den Verstorbenen herantreten und ihn berühren kann, während man auf kommunalen Friedhöfen zwar viel Geld für die Aufbahrung bezahlen muß, jedoch oft durch Scheiben oder Barrieren vom Verstorbenen getrennt ist. Der Einfallsreichtum der Friedhofsbetreiber ist da recht groß. Sehr weit verbreitet sind Kammern, gerne auch weiß oder grün gekachelt, in die von hinten der Verstorbene im offenen Sarg hineingeschoben wird und bei denen die Angehörigen vorne in einem Gang stehen und ihren Verstorbenen durch eine dicke Glasscheibe, wie in einem Aquarium betrachten dürfen.

Oft ist es auch so, daß der Blick auf die Verstorbenen durch einen Vorhang hinter der Scheibe verhindert wird und der Friedhofsmitarbeiter vorne in seinem Kabuff auf einen Knopf drückt und für genau 15 Minuten den Blick frei gibt.

Es gibt auch Kammern, die nur durch ein dickes rotes Seil abgetrennt sind.

Die Begründungen der Kommunen sind oft, so könne man die Erhaltung der Totenruhe gewährleisten und das habe "leichenhygienische Gründe".

Man möchte fast meinen, daß solche Einrichtungen ein Relikt aus längst vergangenen Zeiten sind, als die Menschen noch an böse Geister und Leichengift glaubten, als die Berührung eines Toten quasi den sofortigen Tod des Berührers durch eine Leichengiftvergiftung mit sich brachte...

Aber weit gefehlt. Erst vor gar nicht allzu langer Zeit war ich zur Eröffnung eines schönen neuen Friedhofes eingeladen. Es ist ein sehr moderner Friedhof und wie sich das heute gehört, hat man sich auch sehr viele Gedanken um die anderen Leute gemacht, die auf dem Friedhof zu tun haben. Die Pfarrer finden dort zum Beispiel einen Raum zur Vorbereitung und zum Umkleiden vor, die Bestatter haben von außen zugängliche Kühlzellen und einen Aufenthaltsraum für sich und die Sargträger usw.
Die Kühlanlagen sind vom Feinsten und sehr modern und die technischen Einrichtungen in der neuen Trauerhalle sind zeitgemäß. Vom DVD-Spieler über Leinwand und Beamer bis hin zum riesigen Flachbildschirm ist alles vorhanden.
Als ich aber die Aufbahrungsräume betrachtete, traf mich fast der Schlag. Ich mußte erst einmal schlucken und bin dann fassungslos stehen geblieben.
Man stelle sich einen etwa 20 Meter langen, gekachelten Gang vor, an dessen Decke alle möglichen technischen Rohre und Leitungen angebracht sind. Auf dem Boden gibt es alle paar Meter einen Abfluss und beleuchtet wird das Ganze von grellem Neonlicht.
An beiden Seiten des langen Ganges befinden sich im Wechsel immer eine Stahltür Marke "Heizungsraum" in Kellergrau und eine Glasscheibe mit dahinter befindlichem, ebenfalls grauen Vorhang aus dickem, abwaschbarem Plastik.
Mit einer Funkfernsteuerung (!) kann der Friedhofsmitarbeiter die Vorhänge der einzelnen, dahinter liegenden Zellen öffnen. Man blickt dann, wie früher im Zoo, durch die Glasscheibe in das Innere des Aufbahrungsraumes.
Auch dieser wirkt eher so, als würde da normalerweise ein pestkrankes Erdferkel oder Opossum in Quarantäne gehalten. Technische Leitungen hinten an den Wänden, neben der hinteren Tür eine schmucklose Halterung mit einem aufgewickelten Wasserschlauch und die Wände ansonsten in klinikgrüner Kachelung.
Es könnte auch der Schlachtraum einer Metzgerei sein oder so eine Zelle in der man renitente Strafgefangene mit dem Schlauch abspritzt...

Es ist also durchaus schon ein Unterschied, ob man seinen Verstorbenen da oder beim nahegelegenen Bestatter aufbahren lässt.
Mancher Bestatter hat nur eine Garage auf seinem Hof als Aufbahrungsraum, versteht es aber weitaus besser, mit Wandbehängen, Pflanzen (und seien es künstliche) und Kerzen hier eine Atmosphäre zu schaffen, die bei weitem angenehmer und würdiger ist.


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