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Channel: Bestatterweblog Peter Wilhelm
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Waidwund und feucht

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Antonia läuft seit einigen Tagen mit dauerfeuchten Augen durchs Büro und lächelt dabei wie eine überreife Pomelo. Ihr Olaf ist zu ihr gezogen und das macht sie sehr glücklich.
Nun ist Olaf aber nicht der große Romantiker, der unbedingt mit Antonia zusammen wohnen möchte, sondern der Tunichtgut ist schlicht und ergreifend aus seiner Wohnung geflogen.
Seine Klamotten waren eines Tages "völlig überraschend" in einem Lager des Gerichtsvollzieher "vorübergehend untergestellt" und Olaf hatte keine Bleibe mehr.
"Von heut' auf morgen!" quasi ohne Vorwarnung. Ja, okay, die paar Schreiben des Vermieters und die Umschläge vom Gerichtsvollzieher, wer liest sowas schon?

Schon vorher hatten wir anderen Olaf als Schmarotzer und Parasit abgetan, wollten uns aber nicht in Antonias Angelegenheiten mischen. Mehr als ein paar freundliche Hinweise konnte man ihr auch nicht geben, sie will einfach nichts hören, schon gar nicht, wenn es eine unliebsame Wahrheit sein könnte.

Olaf arbeitet angeblich als Automechaniker. Gut, so eine richtig feste Stelle hat er nicht, aber er kann "mal hier, mal da bei Kumpels die Autos machen". Sein Geld trägt er regelmäßig in Kunos Kneipe und man sieht ihn dort angeblich nur bei den Automaten stehen, wo er den dicken Maxe macht, der die Geräte mit Scheinen füttern kann.
Scheine, die er sich gerne auch mal kurz vor Feierabend hier direkt vor dem Bestattungshaus von Antonia geben lässt.
Ganz dringende Geschäfte machten es erforderlich, daß er eben mal "einen Fuffi" bräuchte, an sein Geld im Ausland komme er vor dem Ersten nicht dran.

Sandy lakonisch: "Seit wann kommt Hartz IV aus dem Ausland?"

Antonia wischt alle unsere Bedenken mit ein paar Puddingkrapfen weg. Ich ahne, daß sie genau weiß, was das für einer ist, aber sie verschließt ihre Augen, weil sich endlich jemand gefunden hat, der liebevoll "mein Knödel" zu ihr sagt.

"Der ist ja so romantisch! Da hat er sich ohne mein Wissen 'nen Zwanziger aus meiner Kaffeedose genommen und mir sooooo eine schöne rote Nelke davon gekauft!"

Dauerfeucht, also jetzt in den Augen, ist Antonia, weil sie schwanger geht; nicht mit einem Kinde -Gott sei es gedankt- sondern mit dem Gedanken, Olaf zu heiraten.
Nur wartet sie eben auf Amors Eingebung an ihren Liebsten, damit er ihr endlich einen Antrag macht.

Was Sie sich denn zu ihrem Geburtstag wünsche, hat er sie neulich gefragt und sie hat mit waidwundem Blick geantwortet: "In Kleid, das man sich nur einmal im Leben kauft!"

Olaf hat das sofort richtig verstanden.
Er ist zu Sandy ins Büro gegangen und hat sie unter dem Schwiegel der Versiegenheit nach den Preisen für ein Totenhemd gefragt.

Ich glaube, wir müssen uns mit dem Kerlchen was einfallen lassen...


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