Als die Birnbaumer-Nüsselschweifs in ihre Straße einbogen, sahen sie eine Gruppe von Leuten vor ihrem Haus stehen.
”Los fahr weiter!” kommandierte die Dicke, deren Stimme sehr gepresst klang, weil sie durch die Nase keine Luft bekam. Doch ihr Mann verstand nicht, was sie von ihm wollte und hielt den Wagen genau vor der wartenden Gruppe am Straßenrand an. “Esel!” keuchte Frau Birnbaumer-Nüsselschweif, die sofort erkannte, daß es sich bei den Leuten vor ihrem Haus, um eine Abordnung der Kirchengemeinde handelte. Der Rendant, der Kirchenratsvorsitzende und drei Damen aus dem Mütterkreis waren gekommen.
Da eine der Damen einen Blumenstrauß in den Händen hielt, setzte Luitgard Birnbaumer-Nüsselschweif ihr fröhlichstes Gesicht auf, zumindest das, was man bei einer gebrochenen Nase und mörderischen Kopfschmerzen so noch an fröhlichem Gesicht hinbekommt.
Rasch hatte sie die Tür des Wagen geöffnet und ihre dicken Waden in Richtung Gehsteig gedreht, während ihr Mann, so wie er es immer tat, von hinten etwas schob, und schon stand sie in voller Größe vor den Wartenden.
Die waren sicher gekommen, um ihr persönlich für den großartigen Einsatz zum Wohle der beiden Mädchen zu danken und ihr als Anerkennung diesen Blumenstrauß zu überreichen.
”Kinders! Kein Wort1 Kommt erst mal rein!” kommandierte die Matrone gekünstelt lachend und schloß die Türen auf, winkte die Leute mit etwas zu großen Bewegungen ins Haus und rief: “Ich mach’ schnell Kaffee! Ach, was freu’ ich mich!”
”Äh”, machte der Rendant und der Kirchengemeinderatsälteste hüstelte verlegen.
Erst da merkte Luitgard Birnbaumer-Nüsselschweif, daß etwas nicht stimmte. Keiner hatte sich gesetzt, alle standen noch im Flur und schließlich war es Frau Ding vom Mütterkreis, die das Wort ergriff: “Luitgard, wir haben von der Sache gehört…”
”Von welcher Sache?” gab sich die Dicke ahnungslos, obwohl sie insgeheim längst gemerkt hatte, daß das Folgende jetzt keine Lobeshymne werden würde.
”Nun”, sagte die andere Frau: “Wegen der Kinder, der Entführung und dem Mißbrauch und so.”
”Mißbrauch!” wetterte die Birnbaumer-Nüsselschweif: “Was fällt Euch denn ein? Hab ihr sie noch alle?”
”Wie dem auch sei”, sagte nun der Kirchenrendant: “Wir haben beschlossen, Ihnen, liebe Frau Birnbaumer-Nüsselschweif, eine Auszeit zu gönnen. Nach der ganzen Aufregung werden Sie sicherlich viel Ruhe brauchen und da halten wir es für das Beste, wenn ab sofort die liebe Frau Ding den Vorsitz über den Mütterkreis übernimmt.”
”Was? Wie? Mütter? Kreis? Nein!” schrie die Dicke. “Ich bin seit 18 Jahren die Mutter der Gemeinde!”
”Luitgard, Du hast doch noch nicht mal Kinder!” rief Frau Ding vorwurfsvoll. “Ich hingegen habe drei Stück.”
”Also, ihr könnt mich doch nicht aufs Abstellgleis schieben, das geht doch nicht!”
Der Rendant nahm Frau Ding den Blumenstrauß ab, drückte ihn Frau Birnbaumer-Nüsselschweif in die Hand und sagte: “Es ist alles gesagt. Bitte bleiben Sie vorerst fern. Der Mütterkreis wird sich neu organisieren und Sie halten sich aus allem raus! Heute war einer von der Zeitung bei Pastor Kaldenich. Sie können sich beim Pastor bedanken, daß morgen nichts in der Zeitung steht. Seien Sie zufrieden, daß alles so abläuft. Guten Abend!”
Mehr wurde nicht gesprochen, die Abordnung machte geschlossen auf dem Absatz kehrt und verließ das Haus der Birnbaumers.
Luitgard Birnbaumer-Nüsselschweif stand mit offenem Mund da und als hinter der Gruppe die Tür ins Schloß fiel, warf sie ihnen schwungvoll den Blumenstrauß hinterher, der aber vor die geschlossene Tür flog und sich am Boden in seine Bestandteile auflöste.
”So danken die das einem. Jahrelang aufgeopfert habe ich mich…”
”Ach, Mensch, halt die Klappe Luitgard!” sagte ihr Mann und ging an ihr vorbei nach oben.
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Bei Kriminalhauptkommissar Petermann klingelte das Telefon und mit einem verärgerten Knurren hob er müde den Kopf. Immer wieder hatte er die Akte Salzner und vor allem die Tatortfotos studiert.
Er meldete sich und lauschte. Es war die Forensik, die ihm die Ergebnisse der Blutuntersuchung mitteilte.
Eindeutig stimmte das Blut auf dem Handtuch mit der zweiten Blutspur im Haus der Ermordeten überein.
Am Tatort, dem Wohnhaus von Günther und seiner Frau, gab es also einmal Blutspuren von Günthers ermordeter Frau und die Spuren einer dritten Person. Und genau diese Blutspuren gab es auch an dem Handtuch in der Villa Kunterbunt.
”Also muß es doch der Ehemann gewesen sein?” fragte Petermann in den Hörer, aber es war mehr eine rhetorische Frage. Doch die Frau am anderen Ende der Leitung hatte auch darauf sofort eine Antwort parat: “Nein, Herr Kriminalhauptkommissar, das ist ausgeschlossen. Von Herrn Salzner wurden damals Proben genommen, da gibt es keine Übereinstimmung.”
Petermann dankte, legte auf und lehnte sich in seinem Schreibtischsessel zurück.
”Kaffee und eine Kippe”, murmelte er, doch dann fiel sein Blick auf den übervollen Aschenbecher und die leere Kanne der Kaffeemaschine und verwarf den Gedanken ans Rauchen und Kaffeetrinken.
Und genau in dieser Sekunde griff das Gedankenfragment Raum. Petermann schnalzte mit der Zunge und rief: “Jawoll, so ist das! Jetzt weiß ich, wie’s war!”