Die kleine Zecke, die ich nähre und die sich meine Tochter nennt, stellt mich gerade vor ein interessantes Problem.
Merkwürdige Gerüche hatten meine Frau und mich aufmerksam werden lassen und zwar drangen diese Gerüche zunehmend wahrnehmbar und sonderbar aus dem Zimmer unserer Tochter.
Daß es aus dem Zimmer unserer Tochter merkwürdig riechen kann, das sind wir gewohnt, bei uns ist es der Junge, der sich wäscht; das Mädchen parfümiert sich. Aber dieser Geruch war anders als die Gerüche die da sonst so fleuchen und kamen dieses mal nicht von gebunkerten Lebensmitteln unterm Bett.
Dort hatte die Kleine vor längerer Zeit einmal ein Vorratslager aus Truthahnkeulen, Marzipan und Knetmasse angelegt. Daß es sich bei der Knetmasse nicht um Knetmasse, sondern um in Verwesung befindliche Kartoffelklöße (halb und halb) handelte, merkte ich erst, als beim Hervorziehen der klebrigen Sammlung Maden an meinen Fingern emporkrochen...
Nun sieht unser Kind beileibe am Leibe nicht so aus, als stünde es kurz vor dem Verhungern, jedoch ist einer der Großväter dereinst vor der Roten Armee geflüchtet und vielleicht sind die Hungererfahrungen aus den Zeiten von Flucht und Vertreibung ausgerechnet jetzt und ausgerechnet bei unserer Tochter wieder hochgekommen, kann ja sein.
Jedenfalls gab sie vor dem eilig einberufenen Familiengericht unter dem Vorsitz eines familienweit bekannten Vaters zu Protokoll, allein der ewig nagende Hunger habe sie zu dieser Tat getrieben und sie bitte schon deshalb um mildernde Umstände, weil das unter ihrem Bett gefundene gebratene Truthahngerippe schon im Mülleimer gelegen habe, als sie es gekidnappt habe...
Jetzt bin ich ja der Letzte, der sich durch braune Kulleraugen, Tränen oder geschürzte süße Lippen in irgendeiner Weise in seinem harten väterlichen Urteil beinflussen ließe...
Die Strafe für die Madenverseuchung war hart und gerecht: Das Kind musste den Dreck wieder saubermachen.
Meine Frau lacht heute noch, wenn ich behaupte, ein strenger Vater zu sein; sie fällt mir ja prinzipiell gerne in den Rücken.
Der neuerliche Geruch konnte aber nicht auf gebunkerte Lebensmittel zurückzuführen sein, denn seit jenem denkwürdigen Madentag lasse ich wenigstens einmal in der Woche unseren durchaus gelehrigen und ebenso gefrässigen Labrador Retriever in das Zimmer des Mädchens. "Such Leckerli!"
Dem entgeht nichts, aber auch rein gar nichts.
Dieses Mal roch es nach Moder und Schimmel und als meine Frau und ich der Ursache für diesen Geruch auf den Grund gingen, stießen wir in einer Ecke des Zimmers auf eine feuchte Wolldecke, die mit etwa sechs Tonnen Presskraft ins Eck gedrückt war und ein wahres Sammelsurium aller möglichen Gegenstände verdeckte.
Ich muss dazu erzählen, daß die Kleine für die Wege zur Post zuständig ist und kurz vor 17 Uhr immer noch geschwind allerlei Päckchen und Briefe zur Postagentur bringen muß. Das erledigt sie immer prompt und zuverlässig.
Das heißt, eigentlich müsste ich schreiben: Das erledigte sie immer prompt und zuverlässig.
Denn seitdem Bäckermeister Zundel seine kleine Filiale direkt neben der Post geschlossen hat, war der Weg dorthin für unsere Tochter von einem Tag auf den anderen keine Freude, sondern eine Qual.
Und so hat das freveltuende Kind die Postsendungen von wer-weiß-wievielen Wochen und Monaten im Zimmereck gehortet. In welchem Zusammenhang dazu die feuchte Wolldecke steht...
Man frage mich nicht, das Kind will es nicht erklären und ich als Mann kann meine Ganglien nicht so verbiegen, daß ich es verstehen oder erahnen könnte.
Nun können wir einige der Sachen noch identifizieren, andere wiederum nicht, das allermeiste davon ist schlicht und ergreifend verdorben und muß unverzüglich entsorgt werden. Dann muß der Teppichboden dort raus, die Tapete runter, alles entfeuchtet und entschimmelt werden und und und und...
Was wir aber feststellen konnten: Unter den grausam dahingemetzelten Sachen befinden sich auch Bücher, Aufkleber, Tassen und dergleichen, bestimmt für den Versand an Leser und Leserinnen, die diese Dinge hier bestellt hatten.
Wir haben alles auch noch mal in neu und sauber da und wer hier im Zeitraum der vergangenen 8-12 Wochen etwas geordert hat und bis heute nichts erhalten hat, der möge sich doch bitte per Mail bei mir melden.
Einfach Name und Adresse, Zahlungsart/-summe und bestellten Artikel angeben, es kommt unverzüglich Ersatz.
Das öffentliche Teeren und Federn einer fast Dreizehnjährigen findet am kommenden Samstag statt.