Immer mehr Familien bestellen für die Traueransprache auf Beerdigungen einen professionellen Trauerredner.
Manchmal möchte man einfach keinen Geistlichen dabei haben, manchmal hat man auch durch Mundproaganda oder eine andere Beerdigung von einem Trauerredner gehört, der seine Sache besonders gut macht.
Wie dem auch sei. Immer wieder wird über den Preis, den Trauerrednerinnen und -redner verlangen, viel diskutiert.
Da ich selbst schon viele Reden auf Friedhöfen gehalten habe, weiß ich, mit welchem Aufwand das verbunden ist.
Ich schildere mal zwei Fälle von Rednern, die ich sehr gut kenne:
Herr Mohr
Herr Mohr ist Rentner. Er hat jahrzehntelang als promovierter Kunsthistoriker bei einer Behörde gearbeitet.
Wie die Jungfrau zum Kinde kam er vor 10 Jahren zum Beruf des Trauerredners. Es war einfach so, daß man ihn gebeten hatte, auf der Beerdigung eines guten Freundes zu sprechen.
Das hat ihm und den Anwesenden gut gefallen und bald schon bat man ihn, das bei einer anderen Beerdigung wieder zu tun.
Im Laufe der Zeit wurden die Anfragen mehr und Herr Mohr überlegte sich, das von nun an beruflich zu machen.
Zunächst einmal legte er sich Literatur zu. Vor allem Werke, aus denen er schöne Zitate und sprachliche Bilder übernehmen konnte.
Dann belegte er einen Kurs für Trauerredner (damals bei mir) und lernte und übte mit vier anderen in einer Kleingruppe das kleine ABC des Beerdigungswissens.
Fast ein Jahr lang feilte und schrieb er an über vierzig verschiedenen Musterreden, denn einen roten Faden muß ein guter Trauerredner haben.
Danach begann die Phase, daß er Bestattungshäuser besuchte, sich vorstellte, Beispielreden hielt und somit viele Monate Klinken putzte.
Zuvor hatte er ein Gewerbe angemeldet, sich Briefbögen, Werbezettel und Visitenkarten machen lassen.
Tritt nun ein Bestattungshaus oder eine Familie an ihn heran, so geschieht das ja meist telefonisch.
Herr Mohr sagt: “Meine Arbeit beginnt schon am Telefon. Ich möchte den Leuten die Angst nehmen, sie beruhigen und auf das Gespräch einstimmen.”
Es folgt der Gesprächstermin. Dieser dauert mindestens zwei Stunden und in einem sehr ruhigen und fast schon seelsorgerischen Gespräch erfragt er, fast wie nebenbei, die ganze Lebensgeschichte des Verstorbenen.
Immer nimmt er eine Kleinigkeit mit, die in besonderer Weise mit dem Verstorbenen in Zusammenhang stand. Das kann eine Tabakspfeife sein, ein Vereinswimpel oder auch mal ein Fußball oder das Modell eines Motorrads.
In seinem Büro erarbeitet er dann die Rede. “Dafür brauche ich mindestens zwei bis drei Stunden”, sagt Herr Mohr. “Ich habe meine Musterreden als Grundlage, aber keine Traueransprache gleicht der anderen. Sie können jeden Tag zu mir auf die Friedhöfe kommen und zuhören, Sie werden niemals zweimal die gleiche Ansprache hören.”
Einen Tag vor der Beerdigung fährt Herr Mohr noch einmal zu den Angehörigen und spricht in groben Zügen seine Rede durch, ohne zuviel zu verraten. Er will aber sicher gehen, daß es wirklich die Goldhochzeit und nicht die Silberhochzeit war und daß der beste Freund wirklich Erwin und nicht doch Egon geheißen hat. “Es gibt doch nichts Peinlicheres, als hierbei einen Fehler zu machen.”
Am Tag der Beerdigung ist er lange vor der Trauerfeier da, bespricht mit dem Friedhofsverwalter kurz den Ablauf und übergibt ihm die CDs mit der Musik oder übermittelt dem Organisten die Musikwünsche.
Ist niemand da, der das ab- oder vorspielt, hat Herr Mohr vorher schon seine Lautsprecheranlage und sein Abspielgerät aufgebaut.
Gleiches gilt für sein Mikrofon. Gibt es in der Trauerhalle keine gute technische Ausstattung, hat Herr Mohr alles dabei. Die Ausrüstung hat ihn 4.000 Euro gekostet.
Dann folgt die Trauerrede in der Trauerhalle. Seine Rede ist einfühlsam, packend, er spricht Mut zu, kommt auf sein Mitbringsel (Pfeife, Wimpel usw.) zu sprechen, geht auch zum Sarg oder Foto des Verstorbenen und bietet den Leuten eine würdige und unaufdringliche Show. Jeder Trauergast hat den Eindruck, Herr Mohr habe den Verstorbenen seit Ewigkeiten gekannt und trauere nun von tiefstem Herzen um ihn.
Dabei bleibt Herr Mohr freundlich, lächelt, scherzt auch mal und weiß immer den richtigen Ton zu treffen.
Am Grab hat Herr Mohr seine zweite Tonanlage aufgebaut und spricht nun durch ein kleines Krawattenmikrofon die letzten Abschiedsworte.
Nach einem Viertelstündchen verneigt er sich vor dem Grab und spricht, je nach Wunsch der Angehörigen, ein Gebet oder rezitiert passende Verse. Dann kondoliert er den Angehörigen und begleitet beispielsweise die Witwe zum Grab und hilft ihr bei den Blumen oder bei der Erde, die man so in die Grube wirft.
Und dann? Dann ist Herr Mohr verschwunden. Unaufdringlich.
Einige Tage nach der Beerdigung folgt das letzte Gespräch. Wie es denn so war, wie es gefallen hat und so weiter. Das dauert auch noch mal eine gute Stunde, manchmal auch viel länger.
Herr Mohr hat Jahre an Arbeit in diese Tätigkeit investiert und bringt ein Hochschulstudium, gutes Auftreten und eine sehr seriöse, gebildete Art und Weise mit.
Er hat für die dunklen Anzüge, die Bücher, die Tontechnik und fast 200 Musik-CDs einen Haufen Geld investiert, ganz zu schweigen von seinen Werbemitteln und der kleinen Büroausstattung.
Der Mann zahlt dafür Steuern und sonstige Abgaben.
Er investiert pro Trauerfall mindestens fünf bis acht Stunden Arbeitszeit. Er nimmt acht Autofahrten auf sich.
Was darf so ein Mann pro Stunde für sich verlangen? 30 Euro, 40 Euro, 50 Euro?
Herr Mohr verlangt 400 Euro glatt.
Falls sich jemand auskennt, der kann ja mal ausrechnen, was einem Rentner mit Gewerbe davon dann unterm Strich bleiben.
Herr Pfleiderer
Herr Pfleiderer war Musiker von Beruf und hat vorwiegend an den Wochenenden mit einer kleinen Combo Musik auf Hochzeiten und Jubiläen gemacht.
Irgendwann wurde ihm das Herumreisen von Lokal zu Lokal zu viel und er mochte auch nicht mehr vor und nach den Auftritten alles auf- und abbauen.
Für 2.000 Euro kaufte er einem bekannten Trauerredner dessen “Geschäft” ab. Der andere war alt und krank und konnte nicht mehr weitermachen.
“Ein paar Mal habe ich mir die Reden von dem durchgelesen, dann hatte ich das drinne.”
Ruft ihn nun ein Bestattungshaus an, um ihm einen Auftrag zu erteilen, dann telefoniert Pfleiderer mit der Familie.
Er braucht nicht viel: Vorname, Name, Namen der Hinterbliebenen, Beruf, Alter, Krankheiten, Hobbys. Haustiere? Fertig.
Die erfragten Daten setzt er an passender Stelle in eine der abgekauften Reden ein.
Einen Besuch bei den Angehörigen gibt es nicht.
Am Beerdigungstag ist er auch etwas früher da, als die Angehörigen. Auch er bespricht vorher die Musikwünsche mit dem Organisten.
Dann hält er seine Rede. Es ist eine Rede, die ich schon 428 mal gehört habe und es wäre ein Wunder, wenn nicht bei jeder Beerdigungsgesellschaft wenigstens drei Leute dabei wären, die diese Ansprache auch schon kennen.
Am Grab betet er das Vaterunser, schlägt militärisch knapp die Hacken zusammen, dreht sich zu den Trauernden um und verneigt sich.
Das war es aber noch nicht, er geht zur Witwe, kondoliert und überreicht bei der Gelegenheit einen Umschlag mit seiner Rechnung.
Herr Pfleiderer ruft stolze 680 Euro auf, er gibt davon dem Bestatter 150 Euro ab, damit sichergestellt ist, daß er auch die nächsten Aufträge bekommt.
Und nun?
Was soll man da sagen, wenn einer fragt, was denn so ein Trauerredner kosten darf?
Der Mann oder die Frau helfen einem durch die schwersten Stunden und der Auftritt wird in der ganzen Familie noch über Jahre im Gedächtnis bleiben.
Wie viel ist da eine gute Arbeit wert?